„A merely schematic proceeding in the purification of staff officials is an unbearable injustice“: Entnazifizierung des Beamtenapparats am Beispiel Württemberg-Badens

In den Vorgängerländern Baden-Württembergs wurde die Entnazifizierung des Beamtenkörpers in der unmittelbaren Nachkriegszeit anhand der Richtlinien der jeweiligen Militärregierung durchgeführt. Diese soll im Folgenden für Württemberg-Baden vorgestellt und am Beispiel einiger Beamter konkretisiert werden. Abschließend soll ein Vergleich zu den Ministerstellvertretern in Württemberg-Hohenzollern gezogen werden, wo die Entnazifizierung großzügiger durchgeführt wurde und deshalb mehr ehemalige Parteigenossen in Spitzenpositionen gelangen konnten.
Nachdem die württembergische Landesverwaltung installiert worden war, überreichte die französische Militärregierung ihr im Juni 1945 die Grundsätze für die Säuberung des Beamtenkörpers. Das gesamte Personal, also sowohl die Beamten als auch die Angestellten und Arbeiter, mussten einen allgemeinen Fragebogen ausfüllen: „Sie werden in der Folge gut daran tun, sehr aufmerksam diese Fragebogen zu prüfen, die Genauigkeit der darin erwähnten Angaben auf ihre Wahrheit zu untersuchen und sie mit den Personalakten zu vergleichen und schließlich alle notwendigen zusätzlichen Erhebungen anzustellen“, so Oberst Niel in den Richtlinien. Neben Mitgliedern der NSDAP vor 1933 waren vor allem Mitglieder der SA vor 1933, Mitglieder der SS sowie Mitglieder anderer NS-Organisationen zu entlassen. Die von der französischen Militärregierung eingesetzten Landesdirektoren konnten allerdings mit einer Genehmigung der Militärregierung auch jene Beamte im Amt belassen, die entsprechend den obigen Richtlinien zu entlassen wären.
Nach der Übernahme Stuttgarts durch die amerikanische Militärregierung am 8. Juli 1945 stellten die Amerikaner nunmehr ihre Anweisungen für die Säuberung des Beamtenkörpers auf. Ebenfalls anhand eines Fragebogens wurde die politische Belastung des Beamten festgestellt und über sein Verbleiben im Amt entschieden. Die amerikanische Militärregierung ging bei der Entlassung von Beamten anders als die französische Militärregierung schematisch und rigoros vor: Alle Ministerialbeamte ab dem Rang eines Ministerialrats aufwärts wurden entlassen und fielen ungeachtet ihrer Mitgliedschaft in der NSDAP unter den sogenannten automatischen Arrest. Im Ministerrat wurde am 26. September 1945 beispielsweise die Entlassung der im Kultministerium beschäftigten Eugen Löffler und Karl Bauer gefordert, die bereits vor 1933 zu Ministerialräten ernannt und nur aufgrund ihrer Stellung verhaftet worden waren.

Dieser Schematismus führte dazu, dass bis Mitte November 92% der höheren Beamten, 66% der mittleren Beamten sowie 31% der unteren Verwaltungsbeamten und Angestellten entlassen worden waren. Der württemberg-badische Innenminister Fritz Ulrich (SPD) monierte bei der amerikanischen Militärregierung den rigorosen Schematismus in der Behandlung der Entlassungen und mahnte neben dem Zusammenbruch der Verwaltungstätigkeit auch seinen Rücktritt an: „It cannot be left unsaid that a merely schematic proceeding in the purification of staff officials is an unbearable injustice which, as a consequence, must cause the break-down of the whole administration“. Ulrich verteidigte vor der Militärregierung vor allem Beamte mit einer rein formalen Parteizugehörigkeit, die „geglaubt [haben], dem moralischen Zwang ihrer Nazi-Brotgeber, in die Partei einzutreten, nachgeben zu müssen, um ihre wirtschaftliche Existenz nicht zu gefährden“ ( HStAS EA 2/102 Bü 167, Fritz Ulrich an die amerikanische Militärregierung, 29. August 1945). Ulrich zufolge konnte man zudem durch die Übernahme kleinerer Ämter in nationalsozialistischen Organisationen „seine wahre, antinazistische Gesinnung so besser tarnen und sich weitergehenden Ansprüchen der Partei leichter entziehen“ (ebd.). Die amerikanische Militärregierung verweigerte allerdings zunächst rigoros die Weiterbeschäftigung aller ehemaliger NSDAP-Mitglieder in der württemberg-badischen Verwaltung.
Mit dem „Gesetz Nr. 104 zur Befreiung von Nationalsozialismus und Militarismus“ wurde auch die Entnazifizierung des Beamtenkörpers auf eine rechtliche Grundlage gestellt. Anfang Juni 1946 bestätigte die Militärregierung zudem, „dass ihre Genehmigung zur Anstellung oder Zulassung von Beamten und Angestellten nicht mehr erforderlich sei. Künftig seien ausschliesslich die Bestimmungen des Entnazifizierungsgesetzes anzuwenden. Nur noch für einige Spitzenstellen hat sich die Militärregierung die Genehmigung vorbehalten“ (HStAS EA 1/920 Bü 129, Monatsbericht des Justizministeriums, 9. Juli 1946). Laut Befreiungsgesetz waren sowohl Hauptschuldige als auch Belastete „dauernd unfähig, ein öffentliches Amt […] zu bekleiden“; deren Ein- beziehungsweise Wiedereinstellung in der Verwaltung war folglich ausgeschlossen. Artikel 64 des Befreiungsgesetzes besagte allerdings, dass auch Minderbelastete, Mitläufer und Entlastete „keine Ansprüche auf Wiedereinstellung oder Schadenersatz herleiten“ können. Erst am 5. Dezember 1946 veröffentlichte das württemberg-badische Staatsministerium allgemein gültige „Grundsätze für die Wiedereinstellung im öffentlichen Dienst“. Demnach konnten von der Spruchkammer entlastete Beamte grundsätzlich „in ihr früheres oder ein gleichwertiges Amt wiedereingesetzt werden“. Mitläufer konnten „in ein Amt ihres früheren oder eines geringeren Ranges oder mit geringerem Gehalt wieder eingestellt werden“. Minderbelastete hingegen durften „grundsätzlich vor Ablauf der Bewährungsfrist nicht wieder eingestellt werden. […] Nach Ablauf der Bewährungsfrist richtet sich die Wiedereinstellungsmöglichkeit danach, welcher Gruppe der Beamte endgültig zugewiesen wird“.

Diese Grundsätze erlaubten schließlich die Ein- und Wiedereinstellung formal belasteter Beamter. So bemühte sich Fritz Ulrich beispielsweise bereits im Frühjahr 1947 um die Wiedereinstellung von Hermann Thierfelder, der seit dem 1. Mai 1933 Mitglied der NSDAP gewesen und Ende November 1946 als Mitläufer entnazifiziert worden war. Der ehemalige Landrat von Ludwigsburg wurde im Juni 1945 entlassen und war zudem von Mai 1945 bis März 1946 in Ludwigsburg interniert. Nach der Einstellung im Angestelltenverhältnis wurde Thierfelder im Januar 1948 zum Regierungsrat auf Widerruf ernannt. Die Ernennung zum Oberregierungsrat folgte ein Jahr später im Januar 1949. In seinem Antrag bemerkte Ulrich, dass „Thierfelder […] sich während seiner Tätigkeit im Innenministerium bewährt und gezeigt [hat], dass er gewillt und in der Lage ist, den Aufbau der Demokratie in Deutschland zu fördern“ (Personalakte von Thierfelder: HStAS 2/150 Bü 1747). Nach der Verleihung der Amtsbezeichnung eines Regierungsdirektors im Juni 1950, die man durchaus als eine Wiedergutmachung für die Internierung sowie Entnazifizierung und die damit einhergehende Behinderung im Karriereweg verstand, wurde Thierfelder zudem im Oktober 1950 zum persönlichen Referenten des Ministerialdirektors Fetzer bestellt. Mit Wirkung vom 1. Januar 1952 avancierte Thierfelder schließlich zum Kanzleidirektor und Personalhauptberichterstatter im Innenministerium. Die Ernennung zum Ministerialrat folgte im Juli 1952 nach der Gründung Baden-Württembergs.
Die unterschiedliche Handhabung der Entnazifizierung in den drei Vorgängerländern führte dazu, dass in Württemberg-Baden im Vergleich zu Südbaden und Württemberg-Hohenzollern weniger formal belastete Beamte in Spitzenpositionen gelangen konnten. Im Landwirtschaftsministerium von Württemberg-Hohenzollern beispielsweise fungierten zwischen 1945 und 1952 ausschließlich ehemalige Parteigenossen als Stellvertreter des Ministers: Wilhelm Schefold trat 1940 der NSDAP bei, Wilhelm Enders 1937 und Eugen Wilhelm war Parteigenosse seit 1933. Bis auf die Staatskanzlei, die vom formal unbelasteten Gerhard Hermann Müller geführt wurde, und das Innenministerium – hier übernahmen zwischen 1945 und 1952 die ebenfalls unbelasteten Ministerialräte Robert Barth und Theodor Eschenburg die Vertretung des Ministers – wurden die übrigen Minister bis 1952 auch von formal belasteten Ministerialräten vertreten. In Württemberg-Baden gelangte lediglich der 1947 als Mitläufer entnazifizierter Lothar Christmann (NSDAP-Mitglied seit 1937) in die Position eines Ministerialdirektors im Kultministerium im Dezember 1951.