Dr. Sebastian Rojek

Dr. Sebastian Rojek

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Dr. Sebastian Rojek
Universität Stuttgart
Historisches Institut
Abteilung Neuere Geschichte
Keplerstr. 17
70174 Stuttgart

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sebastian.rojek@hi.uni-stuttgart.de
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Projektvorstellung

Ziel des Teilprojekts ist es, eine Gesellschaftsgeschichte der Entnazifizierung zu schreiben, die für individuelle Erzählungen und Aneignungen sensibel ist. Dabei dienen die Vorgänge in den Vorgängerstaaten Baden-Württembergs als pars pro toto, so dass die Studie auf empirischer Ebene sich zwar durchaus landesgeschichtlichen Erkenntnisinteressen zurechnen lässt, hinsichtlich ihrer methodischen Anlage aber bestrebt ist, Ergebnisse zu produzieren die für vielfältige Fragestellungen anschlussfähig ist, vor allem im Bezug auf Selbsterzählungen, (politische) Lebensläufe und die Aneignung und den Umgang mit politischen Erfahrungen auf einer individuellen und subjektiven Ebene.

Der Fokus liegt dabei auf den Erzählungen, die in Spruchkammerverfahren von den Individuen produziert worden sind, weniger auf den administrativen und planerischen Prozessen. Im Ergebnis steht eine Typologie derjenigen individuellen Erzählungen oder Erzählmustern, mit denen die bald-Bundesbürger in die Demokratie aufbrachen und dem Nationalsozialismus einen Ort innerhalb des eigenen Lebenslaufes geben mussten. Eine solche Typologie – so die Hoffnung – lässt sich mit den Ergebnissen der Forschung zur gesellschaftlichen und öffentlichen Auseinandersetzung mit der NS-Vergangenheit in produktive Beziehung setzen, um ein komplexeres Bild zu zeichnen.

Dabei geht es um eine Kommunikationsgeschichte der Entnazifizierung, die zunächst einmal die kommunikativen Bedingungen der Spruchkammerverfahren aufzeigt und diese Akten auch hinsichtlich ihres Aufbaus und medialen Charakters betrachtet. Damit gilt es, generell festzustellen, wie es um den Quellenwert dieser Akten bestellt ist und welche Aussagen sich hieraus im Sinne der Ziele und Erkenntnisinteressen gewinnen lassen. Erst vor diesem Hintergrund kann der Versuch gelingen, den Akteuren dabei zuzuschauen, mit welchen Mitteln sie versuchten, ihr (politisches) Leben so zu erzählen, dass die Verfahren für sie günstig ausgingen. Damit knüpft die Arbeit in bestimmter Hinsicht an die »Zeitgeschichte des Selbst« an, die sich allerdings bisher primär auf die Analyse von Angeboten für bestimmte Selbstentwürfe vor allem in Ratgeberliteratur verschiedenster Couleur konzentriert hat. Versteht man die im Zuge der Spruchkammerakten entstandenen Texte als Selbstzeugnisse oder Ego-Dokumente, so bieten sich – unter Berücksichtigung des Entstehungskontextes – Einblicke in die mehr oder weniger opportunen Selbsterzählungen, die in der Nachkriegszeit kursierten. Hieraus lassen sich idealtypische Varianten der Konstruktion eines politischen oder Selbst destillieren, die sich typologisch zusammenfassen lassen. Da die Erzählungen auf die Demokratie hin entworfen waren, lässt sich eruieren, welche Vorstellungen sich mit dieser Herrschaftsform verknüpften und inwiefern die Schreiberinnen und Schreiber ihre Biographie als kommunikativ anschlussfähig für die neue Bundesrepublik entwarfen. Die sog. »Entnazifizierung« erscheint so als ein kollektives Erzählprojekt, das Einblick in zeitgenössische Selbstentwürfe im Zuge des Ankommens in der Demokratie gewährt.